Nachdem sich das letzte Jahr sehr ereignisreich vor meine eigenen Pläne drängte, bin ich nun endlich dazu gekommen, mich dem zu widmen, was mich eigentlich umtreibt, schreibend die Welt zu erkunden.

Ich hab mich zurückgezogen an einen Ort, den ich kenne und der mich dementsprechend mit verschlafener Selbstverständlichkeit empfangen hat. Ich zahle, also bin ich gern gesehen. Auch hier hat die Zeit kräftig am Rad gedreht. Der Glanz und Charme alter Häuser, der inzwischen massentauglichen Behausungen geopfert wurde; und nun ducken sich diese in die Jahre gekommenen Behausungen, wie ungebeten Gäste auf dem einstmals eigenen Grundstück.

Nichts bleibt wie es war.

Vier Wochen schweigen, lesen und schreiben sind nun vorbei.

Vier Wochen Urlaub von der wirklichen Welt. Auch mit der wunderbaren Linda Fredriksson im Ohr oder Philippe Garrel`s „Les Hautes solitudes“ auf dem Monitor. Ein fast schon perfekter Arbeitsmonat, mit angenehmen Routinen und dem Luxus, keinen Verpflichtungen folgen zu müssen. Jeder Sache also seine Zeit zu lassen. Die erste Woche bestand hauptsächlich aus Schweigen neu lernen und dem Versuch, den für mich unfassbaren Krieg zu verdrängen.

Aber er war doch immer da und präsent.

Morgens der obligatorische Kaffee, danach ein sehr langer Spaziergang mit ersten Notaten. Zurück zu den skizzierten Abläufen finden und auf den Moment warten, wo ich auf Gedanken komme, die ich noch nicht gedacht habe. Dann schnell zu Papier oder an den Tisch.

Dann sehr oft unterwegs einen frischen Fisch gekauft, („If Paradise is half as nice“) und das war eines der angenehmsten Dinge; jeden Tag eine Stunde schwimmen. Bahn für Bahn zu ziehen und mit dem Zählen der Bahnen die anfänglichen Gedanken vertreiben. Herrlich. (Mit solchen Dingen kann man mich locken.) Zum Kochen Dvořák`s 9te gehört (Grüße an Serge und seine „Initials“) Und auch nächtliche Spaziergänge mit PJ´s „Driving“ sind alles andere als zu verachten.

Dabei fiel es mir durchaus schwer, die aktuellen Ereignisse beim Schreiben außer Acht zu lassen, denn eine meiner Hauptfiguren ist ein russischer Offizier zu Beginn des Jahres 1953. „Hüte dich vor Menschen, die nur ein einziges Buch gelesen haben!“, so sagt er und ist umgeben von ihnen.

Die andere Hauptfigur, eine KZ Überlebende, die „sich das Paradies immer als eine Art Bibliothek vorgestellt hat“. Beide durch Zufall noch am Leben. Jeder stemmt sich auf seine Weise gegen den Verlust des menschlichen Anstandes, sie versuchen Mensch zu bleiben.

„Geliebte, sei meiner Zärtlichkeit

Heute der Sündenbock.“

Das ist der seit Kindheitstagen ersehnte, lebensrettende Zustand, den Anatoli Marienhof so meisterhaft komprimiert geschrieben hat, und der nun an einer Wand des ehemaligen sowjetischen Speziallagers in Ketschendorf eingeritzt steht. Die Realität ist gnadenloser und unpoetischer. Und „Selbstoptimierung“ war im aufblühenden Sozialismus ein beliebtes Mittel der Gewaltausübung, die letztlich viel Unglück erzeugt hat. Meine Figuren sind allesamt noch an der Schwelle zum werdenden DDR Bürger. Sie hatten noch nicht gelernt, Sätze zu glauben und zu verkünden, die nicht den Tatsachen entsprechen. Sie waren dem Staat noch nicht dankbar für dessen allumfassende „Fürsorge“. Das orwellsche „Doppeldenk“ wird zwar eingefordert, ist aber noch nicht verinnerlicht.

Es ist die Geschichte über den Beginn des Niedergangs einer sozialistischen Idee durch das an die Macht gekommene Proletariat. Kleinbürger, Duckmäuser und Bürokraten ruinieren im Kollektiv eine der schönsten Ideen der Philosophie. Meine Heldin muss beobachten, wie Menschen zu Tätern und Opfern eines Systems werden, dass sie eigentlich erheben und befreien sollte. Masse hat doch immer Macht, erst recht über Einzelne. Und sie ist die Einzelne, die mit Kind, eine die sich fortlaufend entscheiden muss, obwohl sie nur leben will. Am 12. April 1953, an dem tag, an dem meine Geschichte spielt, wird sich ihr Leben eine neue Richtung einschlagen.

In den vergangenen Wochen tauchten bei mir öfter frühkindliche Warnungen vor in Gera stationierten Russen auf. Es gab bei uns als Kinder ein klare Einteilung. Russen in zivil sind ok. Aber Russen in Uniform, mach schnell, dass du weg kommst. Wieso waren selbst für uns „Stifte“ aus Befreiern und Brüdern Personen geworden, denen man besser aus dem Weg geht? Was war, was ist passiert? Wo waren die russischen Offiziere, die einem Joseph Capski seine Proust Vorträge im Lager Grjasowez gestattet haben? Warum wurde aus Timur und seinem Trupp im Erwachsenenalter eine paranoide, überall Feinde witternde Bande, vor der wir uns schon als Kinder instinktiv gefürchtet haben? Vielleicht darf man nur nicht genau hinsehen?

Leider half Kultur schon damals nicht, die Angst vor den fremden Uniformierten zu verlieren.

Dabei war ich gerade der russischen Kultur so unendlich dankbar und sie ist noch immer ein Teil meines Lebens bzw. meiner Wahrnehmung. Allein der Film „Leto“ hat mein Lebensgefühl mehr getroffen, als die ganze Jahresproduktion deutscher Filme. Aber was kann Kunst und Kultur ausrichten? Es bleibt wie es schon immer war, Mehrheiten gestalten Gesellschaften und Widerstand ist eine Sache von Wenigen. Womöglich gibt es Kunst nur, damit die Andersdenkenden nicht vorzeitig aufgeben, sich, dank der „Brüder und Schwestern im Geiste“, nicht zu allein fühlen.

George Orwell hat „1984“ als sein erklärtes Testament unter dem Eindruck der Erlebnisse des „kurzen Sommers der Anarchie“ geschrieben. 1936 in Katalonien, als Anarchisten, Antifaschisten und Kommunisten gnadenlos kämpften und regierten. „Während der letzten Wochen, die ich in Barcelona verbrachte, lag ein eigentümliches, böses Gefühl in der Luft, es war eine Atmosphäre des Misstrauens, der Furcht, der Ungewissheit und des unverhüllten Hasses. Die Maikämpfe hatten unausrottbare Folgen hinterlassen. (…) Die Verantwortung für die innere Ordnung war kommunistischen Ministern übertragen worden, und niemand zweifelte daran, dass sie ihre politischen Rivalen zerschmettern würden, sobald sie auch nur einen Zipfel der Gelegenheit zu fassen kriegten.“

Orwell wurde als „trotzkistisch-faschistischer Spion“ verfolgt. Er entkam einem Lynchkommando weil er im Krankenhaus lag und flüchtete schließlich aus dem Land, dessen Revolution er, wie so viele andere auch, verteidigen wollte.

In der DDR gab es noch in den späten 70ern für das Lesen des Buches Gefängnisstrafen. 2 Jahre und vier Monate für ein Buch. Positiv gesehen: welch eine Kraft! In der Urteilsbegründung hieß es: „Das Buch ‚1984‘ soll dazu dienen, den Sozialismus zu verteufeln und zu verunglimpfen. Dabei wird insbesondere die Sowjetunion, sowie die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei diffamiert.“ Die Empörung darüber, dass andere nicht begreifen, wie gut man es mit einem meint, scheint schon immer fest in der DNA der Führungsriege verankert zu sein. Fehlende Dankbarkeit führt nicht nur in kriminellen Strukturen zu einer Vielzahl an unerklärlichen Todesfällen.

„Worte könne sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu haben und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ Das gilt für Kunst ebenso wie für Propaganda, dass wusste schon Victor Klemperer.

Meine Geschichte spielt 1953 vor der sich anbahnenden intellektuellen und emotionalen Katastrophe, die die zwangsweise umgesetzte Idee einer dogmatischen Kollektivierung mit sich brachte. Und auch schon damals galt, dass Unglück erst bemerkt wird, wenn es einen selbst betrifft. Das Grundübel ist die geforderte einheitliche Weltsicht, die sich schon innerhalb von Familien nicht durchsetzen kann. Warum auch? „Nur ein gebildeter Geist kann einen Gedanken verstehen, der anders als sein eigener ist, ohne die Notwendigkeit, ihn zu akzeptieren.“ In Diktaturen eher selten der Fall.

Das Schweigen hier am Ostseestrand war eine Wohltat. Es war mir ein zwingendes Bedürfnis, mal nicht reden zu müssen, auch weil ich das Gefühl habe, dass ich als schreibendes Ich ein wenig schlauer und klüger, als das redende Ich bin. Obendrein bin ich großzügiger zu Figuren, die ja doch ein Teil von mir sind. Figuren, die Ereignissen und Dingen dann auch noch einen gewichtenden Sinn geben. (der mir im Leben öfter versagt bleibt)

Im Meer zu schwimmen, bei den jetzigen eisigen Temperaturen ist für mich ausgeschlossen. Nur ganz „Abgehärtete“ schaffen das. Umso erfreuter und überraschter war ich, jede Woche am Strand auf eine kleine Gruppe von älteren Damen zu treffen, die sich zum gemeinsamen Baden verabredet hatten. Mit Badeanzug, Badekappe und Handschuhen ging`s bis zum Hals ins kalte Nass und nach 10 Minuten wieder zurück. Beim Spaziergang nach der Oscar-Nacht, bei der, wie ich finde alles unnötig und unverhältnismäßig war, musste ich an eine andere Kränkungsgeschichte denken.

Stattgefunden hat sie im Sommer 1951, am gleichen Meer, aber weiter westlich in Ahrenshoop.

Johannes R. Becher zukünftiger Präsident des Kulturbundes und verantwortlich für nichts geringeres als die Nationalhymne der DDR, war dabei, in Ahrenshoop einen Intelligenz-Sammelpunkt zu etablieren. Er selbst plante ein Haus zu kaufen, Künstler sollten kommen und an ihren Werken arbeiten. So geschah es. Eisler arbeitete hier. Brecht war da, blieb aber meistens am Schreibtisch. Auch er dichtete.

Sie haben einen Grund noch, einen festen,
Und dennoch hält der Grund sie allzu fest.
Sie flüchten vor dem Wind mit allen Ästen
Und halten fest, hinauf bis zum Geäst
Die Bäume scheinen sich zu verrenken,
Wenn Meer und Himmel atmen wieder Stille
Sie sind noch in der Stille auf der Flucht.

Johannes R.Becher liebte es in seinem weißen Leinenanzug am Strand spazieren zu gehen. Ein Dorn im Auge waren dem 60Jährigen allerdings die FKK`ler. Den Anblick „deformierter Körper“ wollte er allein „im Interesse der Ästhetik“ nicht dulden. Und eines Tages wanderte er in Richtung Wustrow und wieder lag da eine „Nackte“. Eine ältere Frau obendrein, das konnte er deutlich erkennen. Ganz im Gegensatz zum Gesicht, denn das verbarg sie unter einer Ausgabe des „Neuen Deutschland“. Jegliches Feingeistige entglitt ihm, er stürmte erregt auf sie zu und brachte sie mit einem laut dahin gerotzten „Schämen Sie nicht, Sie alte Sau?“ dazu, die Zeitung vom Gesicht zu nehmen.

Als sich beide erkennen, wird es erstmal still. Denn da lag, nackt bis auf das „Parteiorgan“, Anna Seghers, die Autorin des „Siebten Kreuzes“, eine Art Nationalheilige der DDR. Beiden ist die Peinlichkeit bewusst, das betretene Schweigen wird durch einen sehr kurzen Smalltalk abgefedert. Man geht sich aus dem Weg. Aber das Gesagte blieb haften. Wenige Wochen später bekommt Anna Seghers den „Nationalpreis der DDR“ überreicht (zusammen mit Brecht). Und der Überreichende ist der zukünftige Kulturminister der DDR, Johannes R.Becher. Beide stehen am Pult. Als er die Laudatio mit einem zarten „Meine liebe Anna …“ ansetzt, zischt sie ihm, äußerlich gute Miene machend, „Für dich immer noch die alte Sau“ zu. Die erste Reihe traute ihren Ohren nicht.

Intelligente Menschen kontern verbal, daran musste ich in der Causa Smith denken und ältere Damen sind immer noch für Überraschungen gut, dachte ich mir und spazierte vergnügt weiter.

Johannes R.Becher liebte es in seinem weißen Leinenanzug am Strand spazieren zu gehen. Ein Dorn im Auge waren dem 60Jährigen allerdings die FKK`ler. Den Anblick „deformierter Körper“ wollte er allein „im Interesse der Ästhetik“ nicht dulden. Und eines Tages wanderte er in Richtung Wustrow und wieder lag da eine „Nackte“. Eine ältere Frau obendrein, das konnte er deutlich erkennen. Ganz im Gegensatz zum Gesicht, denn das verbarg sie unter einer Ausgabe des „Neuen Deutschland“. Jegliches Feingeistige entglitt ihm, er stürmte erregt auf sie zu und brachte sie mit einem laut dahin gerotzten „Schämen Sie nicht, Sie alte Sau?“ dazu, die Zeitung vom Gesicht zu nehmen.

Als sich beide erkennen, wird es erstmal still. Denn da lag, nackt bis auf das „Parteiorgan“, Anna Seghers, die Autorin des „Siebten Kreuzes“, eine Art Nationalheilige der DDR. Beiden ist die Peinlichkeit bewusst, das betretene Schweigen wird durch einen sehr kurzen Smalltalk abgefedert. Man geht sich aus dem Weg. Aber das Gesagte blieb haften. Wenige Wochen später bekommt Anna Seghers den „Nationalpreis der DDR“ überreicht (zusammen mit Brecht). Und der Überreichende ist der zukünftige Kulturminister der DDR, Johannes R.Becher. Beide stehen am Pult. Als er die Laudatio mit einem zarten „Meine liebe Anna …“ ansetzt, zischt sie ihm, äußerlich gute Miene machend, „Für dich immer noch die alte Sau“ zu. Die erste Reihe traute ihren Ohren nicht.

Intelligente Menschen kontern verbal, daran musste ich in der Causa Smith denken und ältere Damen sind immer noch für Überraschungen gut, dachte ich mir und spazierte vergnügt weiter.

Auch schön: Da ich die Sprache der Menschen vor Ort nicht sprach, gab es keine direkte Kommunikation. Also auch kein sonst so von mir geliebter „Plausch überm Gartenzaun“, kein „Picket Fences“. Reine Beobachtungen. Es gab nur einmal eine zufällig beim Strandspaziergang entstandene Unterhaltung mit einem Münchener Juraprofessor und ein ebenso ungeplantes kurzes Treffen mit einer alten Bekannten. (Grüße an die Berliner Polizei) Dementsprechend hab ich gefühlt mehr wahrgenommen, mehr geschaut und beobachtet.

Und doch war immer der Krieg anwesend. Sei es auf Zeitschriften mit Putin Karikaturen oder auch von den Ort stark frequentierenden russisch sprechenden Frauen, die ich je nach Windstand schon sehr früh wahrgenommen habe. Auch ein in den Hafen einlaufendes Kriegsschiff bekam eine neue Bedeutung. Trotz allem, es passierten viele schöne alltägliche Merkwürdigkeiten. Nicht nur in meiner Geschichte.

Musik ist ein sehr existentieller Teil meines Lebens, auch weil sie wie Natur nichts will, nur gibt.

Dementsprechend ist meine Musikbibliothek ganz ordentlich gefüllt und zu jeder Geschichte drängen sich verschiedenste Songs einfach auf. So auch dieses mal. Aufstehen mit „Can’t Stop“ von den Chilly Peppers hatte ich zuvor noch nie.

Normalerweise ist auch mittelalterlich angehauchte Musik nicht so ganz mein Favorit und doch haben sich (Schuld ist Greenaway´s „Der Bauch des Architekten“) in meine Pausen-Playlist aus meiner Sicht ungewohnte Stücke geschlichen, die ich zur eigenen Verwunderung endlos hören konnte. Wim Mertens „Paying for Love“ und „No Testament“ oder auch Dominique Guiot mit seiner „La Dame A La Licorne“.

Der Berliner Himmel verbirgt ja, mithilfe allerlei technischer Raffinesse, erfolgreich seine Sterne. Hier, am Strand, sind sie dafür umso sichtbarer. Aufgespannt wie ein Spinnennetz im Morgentau waren sie fast jeden Abend zu bewundern. Umso erschrockener war ich eines Nachts, als ich, derart ganz in der eigenen Welt abgetaucht, dann doch von der Realität eingeholt wurde.

Ich war allein am leeren, dunklen, nicht zu stürmischen Strand. Die letzten Hotels waren weit entfernt. Plötzlich sprangen plötzlich 6 komplett in Taucheranzügen gekleidete Gestalten aus dem Wasser. Womöglich hatte ich gerade in die andere Richtung geschaut und das herannahende Boot nicht gesehen. Jedenfalls kamen sie aus dem Wasser und rannten keine 5 Meter entfernt von mir vorbei und verschwanden im nahen Wald.

Geschwindigkeit ist ja schon immer eine Waffe des Erschreckens und hat eine gewisse Hilflosigkeit der Überraschten zur Folge. So erging es mir. Erstmal Kopfhörer runter. Ich stand zwischen Strand und Wald. Das Schiff kehrte um und verschwand in der Dunkelheit. Mein eigentlicher Rückweg sollte durch den Wald führen. Ging jetzt natürlich nicht mehr. Langsam schlich ich mich zurück. Tags darauf habe ich eine mögliche Erklärung erhalten.

Im Hafen „randalierte“ eine Meute schwarz gekleideter und vermummter Personen auf Jet Skis. Wie wild gewordene, testosterongesteuerte Teenager trotzten sie sich gegenseitig immer waghalsigere Fahrmanöver ab, nur um letztlich in einer Art geordneten Formation im offenen Meer zu verschwinden. An einer der Maschinen prangte eine überdimensionale Ukraine Flagge.

Da war er wieder, der Krieg. Und für mich beruhigend, womöglich war es eine militärische Einheit, die was auch immer geprobt, absolviert oder bestanden hat.

In meinem Buch geht es um lange Vergangenes. Diesbezüglich hab ich auch musikalisch versucht mich mit alten Weggefährten zu umgeben und bin wieder mal überrascht, dass auch (gefühlte) 40 Jahre nachdem ich z.B. Elvis Costello das erste Mal bei John Peel im Radio gehört hatte (und vor Begeisterung die Strabahaltestelle verpasst habe und im tiefsten Schnee zurücklaufen musste – ja, damals gab es noch Schnee, zumindest bei uns in Gera), dass ich ihn heute immer noch als ganz und gar unglaublich und zeitlos empfinde.

Hier also eine Art Elvis Costello Top Ten

01) Watch your Step

02) Uncomplicated

03) New Amsterdam

04) Brilliant Mistake

05) Indoor Fireworks

06) Shabby Doll

07) Posession

08) Pills ans Soap

09) Accidents will Happend

10) I hope your happy now

und natürlich eines „der“ Liebeslieder aller Liebeslieder. „I want you.“ Glück hat, wie Schönheit so unendlich viel weniger Facetten.

„I want you, every night when I go off to bed and when I wake up

I want you, I’m going to say it once again ‚til I instill it

I am goin‘, goin‘ feel this way until you kill it“

Bei der Titelliste könnte es sich auch um die Umschreibung meiner Geschichte handeln, die noch nicht „ganz fertig“ geschrieben ist. Dafür waren die vier Wochen zu wenig. Aber bald steht der dritte von insgesamt 10 Teilen. Ich bin froh, weil die Arbeit daran sehr schwer und langwierig war. Immerhin musste ich mich mit den Wurzeln meiner Erziehung in der DDR beschäftigen. Heraus kommt, das ahne ich, die am wenigsten schlechte Geschichte, die ich je geschrieben habe.

Und an den letzten Tagen vor meiner versprochenen Abreise trat dann der Krieg in Gestalt einer ukrainischen Putzfrau, die die Apartmentanlage mit anderen Landsfrauen reinigte, an mich heran. Ein Smalltalk kurz vor Abreise via Sprachübersetzungssoftware. Die Frau war eine, mit der ich mich nonverbal lächelnd in den letzten Wochen „angefreundet“ hatte. Sie erzählte mir von ihrer Heimatstadt Mariupol, von ihrer Tochter und dem ältesten Sohn, der als Soldat kämpft.

Mehr als etwas Geld und den Moment des Zuhörens konnte ich nicht geben.

Betroffen bin ich geblieben. Da war er wieder der Krieg, der auch schon nach 1945 seine Schatten voraus geworfen hat.

Und das Prinzip des Befreiens, wie jetzt in der Ukraine, wurde auch schon 1953 wie ein Mantra befehligt. Und mir ist bei den Recherchen zur Geschichte erschreckend bewusst geworden, dass damals alle Angst vor Russen, aber keiner vor Amerikanern, Engländern oder Franzosen.

All das hat Gründe.

Und zur weiteren Wahrheit gehört auch, dass es nach 1945 nur in der sowjetisch besetzten Zone KZ ähnliche „Speziallager“ gab in denen Menschen „nach Gutdünken“ landen, überleben oder verschwinden konnten.

Wenn Silowikis walten, helfen auch Tschernyschewski, Bulgakow, Tendjrakow und selbst die „fünf Elefanten“ nichts.

Ich befürchte Würden – und Uniformträger träger lesen nur noch Anweisungen und keine Bücher mehr.

Und nun steht diese arbeitende ukrainische Mutter vor mir, weint und hält mich für einen guten Menschen. Wir zeigen uns Familienfotos. Ich bin beschämt. Wegen allem. Dem Untergang der Kultur. Dass wir trotz Zugang zu Bildung und Informationen an solch einen Punkt kommen, dass nichts mehr zählt. Dass wir, je mehr wir Informationen haben, umso verführbarer scheinen. Dass wir, wie früher aufm Schulhof den Klassendümmsten „zugestanden“ haben, sich durch die Gegend zu prügeln. Schon damals haben wir uns ohne Lehrer nicht getraut einzugreifen. Wegen der Uniformen, die immer Macht über Menschen haben. Wegen der Menschen, die wegen der Uniform keine Menschen mehr sein dürfen. Weil sich eine liebgewonnene wichtige Kultur, dank der Staatsdoktrin gerade selbst vernichtet. „Weil der Tag noch immer den Jahrhundertweg zieht“. Weil das Leid immer woanders war, weswegen es mich nicht wirklich störte. War ja weit weg. Ich bin empört, weil ich mich, mit meinem gesunden Menschenverstand so hilflos gegenüber der Brachialität fühle. Weil all das, worauf ich Wert lege, derzeit keinen Wert zu haben scheint. Weil ich keine Antwort auf die Frage der Zeit habe. „Was tun?“, ist die Frage aller Fragen. Weil mein Überlebenskampf als Künstler nichts im Vergleich dazu ist.

Deshalb habe ich für mich, als ersten kleinen Schritt, beschlossen

Nachdem ich mich nun vier Wochen ausschließlich mit meinen Figuren beschäftigt habe, werde ich, sobald dieser Krieg vorbei ist, für mindestens 4 Wochen in die Ukraine gehen.

Helfen, was immer getan werden muss.

Wenn also jemand jemand kennt, der Hilfe braucht.

Meldet euch.

Four Week`s for a Dream!

Und so schlimm all die Bilder derzeit auch auf mich einprasseln und zum Hass verführen wollen. Es ist Krieg, mit seit Jahrhunderten nachlesbaren Verhaltensweisen. Und die „Russen“, also die 160 verschiedenen Ethnien, leben auf einer Fläche, die 48 mal größer als die von Deutschland ist.

Ich versuche mich daran zu erinnern, dass es 1939 auch nicht nur ein deutsches Volk gab, sondern dass viele Facetten und Differenzierungen existierten. Wir alle haben Großelten, die, in welcher Form auch immer, damals „beteiligt waren“. Ich bitte alle, diesen differenzierten Blick nun auch auf „die Russen“ anzuwenden. Ein Satz von Mark Twain begleitet und beschämt mich diesbezüglich schon mein halbes Leben. (weil ich ihn auch oft außer Acht lasse)

„Der einzige Mensch, der sich vernünftig verhält, ist mein Schneider. Er nimmt jedes mal Maß, wenn er mich sieht, während alle anderen immer wieder die alten Maßstäbe anlegen.“

E N D E

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