Ich muss tatsächlich mal eine herrlich unglaubliche Geschichte erzählen. Eine Geschichte von Zufällen, die man so nicht erfinden kann.

Frei nach dem Motto, das Leben geht seltsame Wege.

Also: Gestern Nachmittag rief mich vollkommen aufgelöst mein 70jähriger, blinder Onkel an. Anfangs konnte er nicht wirklich zusammenhängend reden, dann platzte es doch aus ihm heraus: er ist ausgeraubt worden, Handy und Geld sind weg und er weiß nicht, was er jetzt tun soll. Da war ich also mal in meiner Doppelfunktion als Autor eines Kriminalmagazins und Neffe gefordert. Hab ihn erstmal versucht zu beruhigen, gesagt, er soll in seiner Wohnung bleiben. Ich komme. 15 Minuten später war ich da. Als ich in die Wohnung komme, war die Polizei schon da, hat eine Anzeige gegen Unbekannt aufgenommen. Soweit so schlecht, denn der Diebstahl lief nach der typischsten aller Maschen ab. Mann klingelt an der Tür, in dem Fall an der meines Onkels. Der Mann wollte Zeitungen verkaufen. Mein Onkel lehnte (mit Hinweis auf seine Blindheit…!!) ab. Der Mann zeigte sich verständlich und fragte nach einem Glas Wasser, „weil es doch so heiß ist“. „ Ja, das könne er haben.“ Also ging mein Onkel in die Küche, ließ natürlich seine Wohnungstür geöffnet. Jetzt folgte reine Diebesroutine. Rein in die Wohnung. Überblick verschaffen.

Leider ist die Wohnungseinrichtung fast schon bauhausartig spartanisch beschaffen.

Der Dieb brauchte also gefühlte zwei Sekunden um das Portemonnaie und das Handy auf dem Tisch zu entdecken. Wenn alles zusammen kommt, dann richtig. Denn das Handy war ein nagelneues iPhone, das wir ihm gekauft haben, damit er sich als Blinder mittels Siri etwas freier bewegen kann. Und er war kurz vorher auf der Bank und hat Geld abgehoben.

Für 1000€ müssen sehr viele Leute sehr lange arbeiten. Unser Dieb brauchte nur 20 Sekunden. Reingewinn 1600€. Das ergibt einen anständigen Stundenlohn, wird auch er sich gedacht haben. Auch die Beamten vor Ort bemühten sich vor allem meinen Onkel zu beruhigen, machten aber keinerlei Hoffnung, Geld oder Handy wieder zu bekommen.

Die Aufklärungsquote bei Einbrüchen liegt knapp über 12 %. Aber immerhin sei er ja nicht gewalttätig gewesen. Und eine Täterbeschreibung von einem 70jährigen Blinden ist in etwa so viel Wert wie ein Statement von Horst Seehofer.

Dementsprechend machten sie sich, nachdem die Anzeige gegen Unbekannt aufgenommen war, wieder auf den Weg. Und nun beginnt der Teil der Überraschungen oder Zufälle. Ich erzählte also, dass ich Autor bei dem Kriminalmagazin „Täter-Opfer-Polizei“ war. (war, denn ich habe letzten Freitag dort gekündigt.) Ich kann es nicht beweisen, aber sie outeten sich als Fans und legten offenbar noch mal 2 % Energie drauf.

Jedenfalls waren 1 1/2 Stunden später 2 Beamte vom KDD in der Wohnung, die „obwohl nicht überzeugt“ angefangen haben, Spuren und Fingerabdrücke zu suchen und zu sichern. Parallel dazu habe ich natürlich die SIM Karte gesperrt und meinen Onkel beruhigt, der sich, nicht ganz zu Unrecht, als großen Trottel bezeichnete. Und jetzt kommen Technik und Glück ins Spiel. Ich wusste theoretisch schon, dass man das Handy orten lassen kann. So mit richterlicher Verfügung und so. Und dann gibt es ja noch Apple. Die mir jedoch anfänglich nicht helfen konnten, weil mein Onkel sich die IMEI Nummer seines Handy nirgendwo notiert hatte. Eigentlich hätte ich das wohl tun sollen, hab ich aber nicht. Leider. Nun habe ich mich bisher mit Ortungsfunktionen noch nie beschäftigt. Warum auch. Jetzt war es zu spät. Doch mir konnte geholfen werden. Das hat zwar drei Anrufe bei der Hotline und entsprechende Nerven gekostet, aber es war erfolgreich. Wir haben seine IMEI, also seine Gerätenummer, heraus bekommen. Das ging, weil sein Handy über meinen Vertrag läuft, damit war also auch datenschutzrechtlich alles abgesichert. Als ich um 16:35 Uhr das erste Mal das Handy meines Onkels in Neukölln geortet habe, war nicht nur ich sprachlos, sondern auch die Beamten vom KDD. Dazu kam, dass wir inzwischen festgestellt hatten, dass ich ihren Chef schon mehrmals vor der Kamera hatte. Es lief also alles wie geschnitten Brot. Die Zentrale des KDD verständigte die Kreuzberger Kollegen vor Ort, die auch zufällig keinen anderen Einsatz hatten. Ich lotste also von Pankow aus die Einsatzkräfte. Aller drei Minuten aktualisierte ich. Und konnte dementsprechend mitverfolgen, wie er mal hier und mal dahin lief. Die Polizisten vor Ort folgten unauffällig. Sie hatten nur noch das Problem, den mutmaßlichen Täter aus der Masse herauszufiltern. Doch da er sich unbeobachtet fühlte, lief er immer weiter. Und mit jeder Kreuzungsüberquerung waren sich die Beamten sicherer, wer gerade im Besitz des Handys war. Über eine Stunde ging das so. Jetzt kam Zufall Nr. 2 ins Spiel. Ich habe in der letzten Woche in der Wohnung meines Onkels gedreht. Ironischerweise ging es um Betrug und Abzocke. Ein Handy und eine Geldbörse spielten dabei eine Rolle. Sein Handy und seine Geldbörse. Ich hatte das unbearbeitete Rohmaterial noch auf meinem Laptop. Und konnte also ein Foto der speziellen Handyhülle vorweisen und es den Kollegen vor Ort schicken. Gegen 18:05 Uhr war es dann soweit. Das Handy bewegte sich nur noch unwesentlich. Nun kommt die zweite Spezialfunktion ins Spiel. Man kann ein Signal auf das als gestohlen gemeldete Handy schicken, das dann einen lauten Notruf von sich gibt. Als die Beamten vor Ort fast sicher waren, wer das Handy hat, baten sie mich diesen Ruf zu aktivieren. Zwei Minuten später war alles vorbei. Via Handy wurde Vollzug gemeldet. Ein Mann wurde zur „erkennungsdienstlichen Behandlung“ festgenommen. Das Handy sowie ein Teil des Geldes wurden sichergestellt. Jack Bauer lässt grüßen.


Über zwei Stunden Krimi waren vorbei. Selbst die Beamten vom KDD waren sprachlos, aber begeistert. Und ich würde einiges dafür geben, das Gesicht des Mannes bei der Festnahme gesehen zu haben. Wie er zweifelt, wie er überlegt. Wie kann das sein? Ach ja, ich hätte gern zugesehen. So aber blieb erstmal nur die Freude über die vielen glücklichen Zufälle, die gute Arbeit der Polizei und die Erkenntnis, dass das Leben manchmal einfach wunderbar ist. Ende gut, alles gut.

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