
Es war ein merkwürdiger Morgen, damals am 9. Dezember 80. Eine Zeit, als die Winter gefühlt sehr viel kälter als heute waren und die Stasi noch direkt unter uns wohnte. Ich empfand dies damals als „liebevolle“ Geste des Staates, wurden wir doch dadurch unaufdringlich daran erinnert, dass meine Mutter Westdeutsche war und „wir“ eigentlich nicht hierher gehörten. Dass wir uns also nie zu sicher fühlen sollten. Und wenn es mir zu langweilig wurde, hatte ich immer noch die Möglichkeit, die Musik so laut aufzudrehen, bis der Major wütend nach oben kam. So geschehen sehr oft.
Eine überschaubare Zeit, in der ich, als der Kindheit langsam Entwachsener, natürlich auf alle Fragen Antworten parat hatte. Selbstredend. Gerne gab ich diese Antworten auch ungefragt zum Besten. Was man halt als langhaariges Wesen in der Provinz so macht. Mein Zimmer war vollgesprüht mit „Why not“ Varianten.
Und dann kam dieser sehr eigenartige, nächste Morgen, nach dem 8. Dezember 1980. Ich stapfte wie immer zur Schule. Doch an diesem Tag war etwas anders. Viele Mitschüler der 22. POS sahen mich traurig an und umarmten mich sogar. Drückten mir ihr Beileid aus. Dann erst erfuhr ich, dass John Lennon erschossen wurden war. Für mich eigenartig, den ich war definitiv kein John Lennon Fan. OK. Ich sah ein bisschen so aus. Lange Haare und dergleichen. Klar. Aber Lennon Fan? Nein, das war ich nicht. Aber mich ergriff ein komisches Gefühl, John Lennon berührte mich. Gerade weil wir uns ja nicht so richtig kannten. Mein Englisch hatte sich damals auch eher in homöopathischen Dosen in mein Gehirn geschlichen, so dass mir textliche Aussagen schlicht und einfach nichts sagten. Aber „seine Musik“, so sie mir auf zusammenkopierten Kassetten zur Verfügung stand, sprach schon immer zu mir. Zumindest bei einigen Songs. Da war etwas zwischen den Zeilen, was mich sprachlos machte und mich zeitlebens begleitete. Eine Form von fulminanter, nicht destruktiver, sondern lebensbejahender Melancholie, die ich immer wieder bei Lieblingssongs bemerke. Aber damals, an jenem Dienstagmorgen, war es ein ganz normaler Wintertag. Noch dunkel. Ich glaube mich zu erinnern, dass es kühl war.
Nun also hielten mich alle für einen Lennon Fan. Ich dachte, wenn alle um mich herum meinen, dass das was mit mir zu tun hat, dann muss da was dran sein. Und so war es dann auch. Ich wurde sogar so sehr Fan, dass ich danach echte Angst davor hatte, dass ich bei allen möglichen Todesmitteilungen irgendwelcher Musiker, plötzlich deren Fan werden musste. So, ohne dass ich was dagegen machen könnte. Eine Art Vorbestimmung. Am größten war meine Angst beim Tod von Bob Marley. Was, wenn ich nun nur noch Reggae hören musste? Glücklicherweise blieb das aus & Lennon der Einzige. Und aus den Dingen, die ich zunehmend erfahren habe, erwuchs sich eine lebenslange Begleitung. Inspirationsquelle in vielen Bereichen.
Und spätestens als ich von jenem Abend in der Indica Galerie gelesen habe, war ich begeistert.
9. November 1966. Und Indica war ein Buchladen des Ehemannes von Marianne Faithfull, bevor die ihn verließ und sich um Mick Jagger kümmerte. Indica war Untergrundkunst pur. William Burroughs wohnte um die Ecke, war ein Freund des Hauses und eine junge japanische Künstlerin sollte eine Ausstellung eröffnen. John Dunbar, der Besitzer, wollte unbedingt dass John Lennon noch vor der Eröffnung vorbei kam. Eine Solo-Show, bei der die Zuschauer Teil der Performance werden sollten. Man konnte imaginäre Nägel in Wände schlagen. Kartons mit der Aufschrift „Breathe“ bewundern. Fluxus pur. Und John Lennon kam tatsächlich „rum“.
Allein in der Galerie, obwohl das die Künstlerin nicht wollte. Lennon benahm sich merkwürdig. Auf einem Podest lag ein Apfel. Daneben stand ein Preis von 200 Pfund. Lennon nahm den Apfel und biß sehr zum Unwillen von Yoko Ono hinein. Ein angebissener Apfel wie auf Alan Turings Totenbett. Obendrein hatte Lennon kein Geld dabei. Noch im Raum stand eine Leiter.
Lennon steuerte darauf zu, ging hinauf. Oben baumelte eine große Lupe. Er nahm sie und las die Inschrift auf einem Zettel. Er kletterte hinunter, ging an der Künstlerin vorbei, machte „mhm“ und war weg.
Auf dem Zettel stand „Yes“. Später am Abend kamen auch noch Sharon Tate und Roman Polanski auf eine Partie Schach vorbei. Aber in dem Augenblick, wo John Lennon von der Leiter stieg, hatte sich sein Leben verändert. Er hatte Luft geatmet, sich auf die „Gedankenspiele“ auf die „Mind Games“ in der Ausstellung von Yoko Ono eingelassen.. Er hatte in den Apfel gebissen und die Antwort auf alle Fragen gesehen. YES, war die Antwort.
Drei Jahre später hat er Yoko Ono geheiratet. 9 Jahre später ist das Lied entstanden. Die Geschichte des Kennenlernens beider hat mich immer wieder beeindruckt.
Zwei Personen. Ein Raum. Eine Leiter. Yes.
Und „Mind Games“ ist einer der Songs, die mich zeitlebens begleitet haben. Wie auch „der Mann ohne Eigenschaften“, „Glenn Goulds wohltemperiertes Klavier“ ,„Picassos Frau mit dem Rabe“ oder „Le Cercle Rouge“. Nicht zu vergessen „Und ich werde gehn, wie ein Zigeuner, fort durchs Blau, Durch die Natur, – so glücklich wie mit einer Frau“ von Rimbaud darf natürlich nicht fehlen. Alle haben mich begleitet. Wie gute Freunde, die, um „Gottes Willen, auch nicht andauernd anwesend sein müssen, die aber da sind.
Und so hat Lennons, „Yes is the Answer“ auch in mir tiefe Spuren hinterlassen.
Die meisten Lektionen, die mir das Leben erteilt hat, begriff ich erst Jahre später (wenn überhaupt) – aber eines ist immer geblieben. Ich denke sehr oft an den Raum und die Leiter.
Daran, dass John Lennon später sagte, wenn auf dem Zettel „Nein“ oder, wie auch schon damals üblich, ein „Fuck you“ gestanden hätte, dann wäre diese Künstlerin für ihn erledigt gewesen.
Aber die Antwort war „Ja“. Pythagoras meinte einmal, dass die beiden kürzesten Wörter, Ja und Nein, das meiste Nachdenken erfordern.
„Mind Games“ steht für mich für die 70er. Eine Zeit, in der ich noch Kind war, aber sehen, spüren konnte, wie sehr das formelhafte abarbeiten an den Ideen des Sozialismus dazu geführt hat, dass beides nicht funktionierte. Weder Familie noch Sozialismus.
Musik als stummer Zeuge diverser Dramen. Mein Leben bis 1989 ist flankiert mit künstlich beendeten Lebenslinien. Von Onkel Christian, der am Strick baumelte und dessen damalige Freundin danach zufällig mit dem Mann liiert war, der Christians Tod staatlicherseits überprüfen sollte. Und auch der coolste Hund im ansonsten eher normalen Freundeskreis meiner Eltern, legte nach einem letzten, mit beiden Familien gemeinsamen verbrachten Urlaub in Bulgarien, eine halbe Stunde nachdem er zuhause angekommen war, den Kopf in den Ofen. Bernd Bachmann, der Lehrer, dem ich die Liebe zur Kunst zu verdanken hab.
Verschiedene Notlagen, Abhängigkeiten und Situationen führten zum Nein. Neun insgesamt.
Auch das läuft bei „Mind Games“ immer mit. Wenn das Leben keinen Raum bietet, indem eine Leiter steht, die dich über alles erhebt und dir auf deine Fragen ein kleines Ja zu haucht.
Kunst kann das. Meistens. Zumindest besteht die Möglichkeit.
Und manchmal entstehen dabei ikonische Momente. Wie beim letzten gemeinsamen Bild des Paares. Yoko Ono wollte sich nicht ausziehen. John, Vorreiter in vielem, sagte „er macht das.“ Nur Stunden nach dem Annie Leibovitz – Fotoshooting wartete der Attentäter auf Lennon.
Und in ein paar Wochen wird, wie jedes Jahr, mein Weihnachtslied nicht „Last Christmas“ sondern „Happy Xmas (War Is Over) sein“. Und ich werde mir in einem stillen Moment, vielleicht bei einem Spaziergang, die Freiheit nehmen, mich unbemerkt meinen Tränen hinzugeben. Für ein paar Minuten vielleicht. So wie damals in der 22. POS. Am Tag nach Lennons Tod.
Ich wusste nicht, warum mich sein Tod so berührte, aber ich ging in der Pause auf Toilette, schloss ab und weinte wie ein getretener Hund leise, vor mich hin. Dann sang ich wütend „I’m tired of hanging around I want somebody new I’m not sure who I’ve got in mind But I know that it’s not you.“
Und danach? Nase geputzt. Tränen abgewischt, denn: es muss weiter gehen. Damals wie heute.
Warum?
Noch ist viel zu tun. Zu erleben. Gedanken wollen aufs Papier & Menschen getroffen werden!
YES…..is the answer….!